Rezension Dashka Slater – Bus 57

Rezension Dashka Slater – Bus 57

Autor: Dashka Slater
Titel: Bus 57
Herausgeber: Loewe Verlag  
Datum der Erstveröffentlichung: 11. März 2019
Buchlänge: 400 Seiten
Titel der Originalausgabe:  The 57 Bus
ISBN: 978-3743203631
Preis: HC 18,95€ / eBook 14,99€
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 Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Kriminalgeschichten, die auf wahren Begebenheiten beruhen, sind selten romantisch. Doch gerade diese brechen uns gewöhnlich das Herz. (NewYork Times)
Der Bus der Linie 57 ist das einzige, was Sasha und Richard miteinander verbindet. Richard ist Afroamerikaner, geht auf eine öffentliche Schule und hat gerade einen längeren Aufenthalt in einer betreuten Wohngruppe für jugendliche Straftäter hinter sich. Sasha ist weiß, besucht eine Privatschule und identifiziert sich selbst als agender. Nur acht Minuten täglich verbringen Sasha und Richard gemeinsam im Bus 57. Bis zu dem Tag als Sasha den langen weißen Rock trägt und Richard ihn anzündet.

Dashka Slater hat den nachfolgenden Gerichtsprozess monatelang verfolgt, mit Beteiligten gesprochen und die Hintergründe recherchiert. Bus 57 ist die akribische Dokumentation eines berührenden Falles, der tragischen Verstrickung zweier Jugendlicher, die doch nur eines wollen: glücklich sein, trotz allem.

Quelle: Loewe Verlag

 

 

Stell dir vor du bist mit Freunden unterwegs. Ihr besucht ein Restaurant, esst gemütlich eine Kleinigkeit und plötzlich merkst du, dass du ganz dringend auf die Toilette musst – klar, denkst du dir, dieser halbe Liter Wasser, den du daheim getrunken hast, muss ja irgendwann wieder heraus.
Du folgst also dem Wegweiser Richtung WC und stehst vor zwei Türen. Auf der einen ist eine Kennzeichnung für das männliche, auf der anderen eine für das weibliche Geschlecht abgebildet.
Du machst dir absolut keine Gedanken welche du öffnen sollst oder? Schließlich kennen wir das seit dem Kleinkindalter.
Doch was machen Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen? Hast du darüber überhaupt schon mal nachgedacht?
“Ist doch egal“ hat eine Freundin mir geantwortet, als ich sie genau das gefragt habe. “Hat ER einen Penis, geht er zu den Männern. Hat SIE eine Vagina, dann ab zu den Frauen“.
Klingt simpel, denn viele ordnen sich unserem binären System einfach unter und werden mit Frau oder Mann angesprochen – doch Sasha, einer der beiden Hauptprotagonisten aus Bus 57, kann das nicht. Nicht mehr.

Als Luke geboren trägt sier mittlerweile gerne Röcke und fühlt sich keinem Geschlecht zugehörig. Fragt man sien, als was sier sich denn dann bezeichnen würde, antwortet sier: Generqueer und/oder Genderfluid. 
Familie, Freunde und auch die Schule, die Sasha besucht, haben mit dieser Entscheidung keinerlei Probleme und akzeptieren, ja respektieren diese sogar, denn sier ist noch immer die gleiche Person, die sich nicht durch irgendwelche Geschlechtskonformitäten definierten lässt. Sie lieben Sasha als Menschen.
Richard hingegen fühlt sich eindeutig männlich, lebt als Afroamerikaner in einem sozial schwachen Viertel und fungiert neben Sasha als zweiter Hauptcharakter. Aufgrund einer Prügelei wurde er bereits in seiner Vergangenheit einmal Inhaftiert, ist aber dank seiner Vertrauenslehrerin auf dem besten Wege seinen Abschluss zu machen.
Bis er mit seinem Cousin und einem Freund am Montag, den 4. November 2013 mit dem Bus der Linie 57 nach Hause fahren will und dort auf den schlafenden Sasha trifft.
Ein Tag, der das Leben zweier Jugendlichen für immer, unwiderruflich, verändern wird.

Bus 57 ist ein Buch, auf das dich kein Klappentext der Welt vorbereiten kann, denn die Geschichte schlägt ein – mitten ins Herz – und bleibt da, verankert.
Ich musste während des Lesens wirklich oft schlucken um den Medizinball im Hals irgendwie unter Kontrolle zu bringen, aber sobald dieser halbwegs verdaut war kam der nächste. Noch größer und wichtiger und nachhallender.
Es sind einzelne Momente und die Stimmung, die dieses Buch zu etwas machen, dass man nie mehr vergessen kann und in mir etwas verändert hat. 
Zwar sind es auch nur Worte die da stehen, aber in meinem Kopf sind sie real geworden, haben mich verletzt, so wie sie Sasha verletzt haben. Und Richard.
Sie haben mich sehen lassen, aufmerksam gemacht für etwas, das eigentlich normal sein sollte aber noch lange nicht ist.
Und sie haben mich wütend und traurig gemacht. Haben meinen Verstand geöffnet und Seiten an Menschen beleuchtet, die sonst in Büchern ehr im Verborgenen bleiben.
Denn die Autorin erzählt hier nicht nur die Geschichte des Opfers und dessen Familie, sondern auch die des Täters mit seiner. Vorschnelle Urteile habe ich dadurch zwar trotzdem gerade zu Beginn gefällt, aber mich mit jeder weiteren Seite mehr dafür geschämt.
Einfühlsam und subtil macht Dashka Slater einem Stück für Stück klar, dass Sasha und Richard mehr sind als nur Opfer und Täter.
Der Leser lernt die beiden Jugendlichen als Individuen kennen, taucht tief in ihr Leben ein und sieht, wie unterschiedlich beide sind. Auch das Rechtssystem mit der ehr opferorientierten Justiz nimmt einen wichtigen Teil des Buches ein und zeigt, wie schnell Menschen von Medien oder ihrer eigenen Unwissenheit beeinflusst werden und von einem „Hassverbrechen“ sprechen.
Aber vor allem geht Bus 57 weit über die tatsächlich existierenden Schlagzeilen hinaus und analysiert und untersucht jeden Teil der Geschichte objektiv ohne dabei kalt oder gefühllos zu wirken.

 

SIER SIEM SIEN

Eine weitere Besonderheit ist die Verwendung geschlechtsneutraler Begriffe. Da sich Sasha eben als agender wahrnimmt und so keinem Geschlecht zugehörig fühlt, bevorzugt sier die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen samt aller Unterformen.

„Nach und nach bat Sasha Debbie, Karl und alle, die siem am nächsten waren, sien Sasha statt Luke zu nennen.“ (S. 51)

Je nachdem, wie weit man sich selbst schon einmal mit dieser Thematik beschäftigt hat, braucht der ein oder andere bestimmt eine gewisse “Eingewöhnungsphase“ um nicht über jedes sier, siem oder sien zu stolpern, aber genau das ist bereits in vielen Ländern ganz normal.
Warum auch nicht? Wenn Worte fehlen, sollte man sie neu erschaffen.

 

 

Hand aufs Herz: Was siehst du, wenn du einen offensichtlich männlichen Passaten mit Rock an dir vorbeilaufen siehst?
Einen Mann, der einen Rock trägt oder einen Menschen, der einen Rock trägt?

Bus 57 erzählt die Geschichte zweier Menschen, deren Leben sich am 4. November 2013 für immer verändert hat. Ein Buch über Empathie, Mitgefühl, und Vergebung, das mich auch jetzt noch zutiefst berührt.
Ich hoffe, dass es für viele genauso wichtig wird wie The hate you give.

 

 

♥ Vielen Dank an den Loewe Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über die Autorin 

Dashka Slater schreibt als Journalistin überwiegend für die New York Times und wurde mehrfach für ihre sorgfältigen Essays und Hintergrundgeschichten ausgezeichnet. Sie schreibt außerdem Bücher für Kinder und Erwachsene. Ihr Roman The Wishing Box wurde von der Los Angeles Times in die Liste der Best Books of the Year aufgenommen.

Quelle: Loewe Verlag  

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