Autor: Marie-Sabine Roger
Titel: Wenn das Schicksal anklopft, mach auf
Herausgeber: Hoffmann und Campe
Datum der Erstveröffentlichung: 04. Februar 2020
Buchlänge: 304 Seiten
ISBN: 978-3-455-00843-2
Preis: HC 22,00€ / eBook 16,99€
Erwerben
♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt ♥
Harmonies Leben ist alles andere als harmonisch. Die junge Frau hat Tourette, ihre vulgären Ausbrüche machen ihr das Leben schwer. Doch sie hat sich vorgenommen, sich aus der Abhängigkeit von ihrem Freund zu befreien und sich endlich einen Job zu suchen. So begegnet sie der ängstlichen älteren Dame Fleur, die außer ihrem russischen Therapeuten und ihrem übergewichtigen Hündchen jedem misstraut. Nichts spricht dafür, dass aus den beiden Freundinnen werden könnten. Doch als Fleur Harmonie versehentlich den Arm bricht, geschieht genau das. Gemeinsam entdecken sie die Welt, den Stepptanz und ein selbstbestimmtes, lustvolles Leben. Ein warmherziger, humorvoller Roman über die Macht der Freundschaft und das Geschenk gegenseitiger Toleranz.
Quelle: Hoffmann und Campe
Freundschaften.
Meine besten Freunde habe ich eigentlich schon seit Kindertagen. Seit ich denken kann, begleiten sie mich durch mein Leben und ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich ohne sie zurechtkommen sollte. Einige Freundschaften verlaufen sich aber auch im Sande. Die Wege trennen sich irgendwann, manchmal unverhofft, doch es entsteht ein neuer Platz, der ab und an von neuen Menschen besetzt wird. Mir fällt jedoch auf, dass es mit fortschreitendem Alter immer schwieriger wird neue Freundschaften zu schließen und fremde Personen so nah an sich heranzulassen, dass eine Vertrauensbasis überhaupt entstehen kann. Geht euch das auch so oder bin ich da einfach seltsam?
Wie dem auch sei, um das Thema Freundschaft und Vertrauen geht es auch im neuen Buch von Marie-Sabine Roger: Wenn das Schicksal anklopft, mach auf.
Die 26-jährige Harmonie sucht einen Job und die 76-jährige Fleur hat einen zu vergeben, denn sie sucht jemanden, der während ihrer Therapiestunden ihren Hund betreut.
Und so stoßen die beiden unterschiedlichen Frauen auch das erste Mal aufeinander, wobei beide eine nicht sehr einfache Lebensgeschichte im Gepäck haben.
Harmonie hat Tourette und ihre vulgären Ausbrüche machen ihr oft das Leben schwer. Fleur ist schwer übergewichtig, wird von Ängsten geplagt und meidet so gut es geht die Öffentlichkeit. Doch als ihr ebenfalls übergewichtiger Mops Mylord einen Herzanfall erleidet, ist sie gezwungen auf die Hilfe von Fremden zurückzugreifen.
Nichts spricht eigentlich dafür, dass sich diese zwei Frauen anfreunden, zumal Fleur Harmonie bei ihrer ersten Begegnung direkt den Arm bricht – aber vielleicht ist ein holpriger Start genau das, was die beiden gesellschaftlichen Außenseiter gebraucht haben.
Man kann die Welt nur mit seinen eigenen Augen sehen, aber man kann sich entscheiden, im Hässlichen das Schöne zu erkennen, im Grotesken das Erhabene, im Winzigen das Unerlässliche.
(Seite 244)
Marie-Sabine Roger erzählt in ihrem wunderbar warmherzigen Schreibstil abwechselnd die Geschichte der beiden Protagonisten Harmonie und Fleur, wobei ich für beide gleich starke Sympathien entwickeln konnte.
Über jede von ihnen musste ich gleich viel schmunzeln, von beiden ging aber auch eine enorme Anziehungskraft aus, sodass ich das Buch wirklich schwer aus der Hand legen konnte. Harmonies Leben zum Beispiel ist sehr geprägt durch ihr Tourette, das mitunter auch unbeabsichtigte, gewalttätige Handlungszwäge nach sich zieht, von den vulgären Ausbrüchen ganz zu schweigen. Und so sind ihre Passagen voll von unvermittelten Schimpfwörtern, sinnlosen Lauten und Aneinanderreihungen von Gedankenfetzen ohne Punkt und Komma. Dadurch wird dem Leser sehr deutlich bewusst, wie die junge Frau empfindet und wie ihr Leben durch die Erkrankung beeinflusst wird.
Fleurs Denkweisen, die ihrem Tagebuch entnommen wurden, sind dagegen gewählter und ausschweifender, sodass ich sofort einen klaren Unterschied in ihrem Wesen und dem Alter feststellen konnte. Ihr Hund und ihr Psychotherapeut sind das ein und alles in ihrer einsamen Welt und sie klammert sich mit jeder Faser ihres Körpers an diese beiden, was auch die teilweise schrulligen Verhaltensmuster ihrerseits erklärt.
Morbide Adipositas, Soundso-Syndrom oder Dingsda-Krankheit. Wir gehören der Art der schwer einzuordnenden Nieten an, die sich zum Überleben besser im Hintergrund halten. Ich träume jeden Tag davon, einen Fuß vor die Tür zu setzten, ohne sofort alle Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Den Leuten keine Angst mehr zu machen, die anderen nicht mehr zum Lachen bringen, und wenn ich die Blicke auf mich ziehen sollte, dann weil ich ein Kunstwerk bin, ein seltenes, kostbares, schönes Objekt.
(Seite 91)
Mit jede Menger Situationskomik folgen wir den zwei Frauen ein Stück weit ihres Weges, wobei auch die Nebencharaktere äußerst liebevoll und glaubhaft gestaltet sind.
Es macht einfach Spaß zu sehen wie sich Fleur und Harmonie entwickeln, selbst auferlegte Grenzen überschreiten und wachsen – so wie ihre Freundschaft.
Und genau darum geht es im Leben: Selbstbestimmung und Toleranz.
Wenn wir Fremde durch ihr Äußeres oder ihre ungewöhnlichen Verhaltensmuster nicht mehr in Schubladen stecken, sondern sie einfach akzeptieren, wie sie sind, können wunderbare Dinge geschehen, die für alle bereichernd sind.
Eine ungewöhnliche, aber zugleich auch sehr zauberhafte Freundschaftsgeschichte, die mich trotz des hoffnungsvollen Endes sehr berührt und oft traurig gestimmt hat.
Wenn das Schicksal anklopft, mach auf steckt voller Emotionen und Wahrheiten und genau deswegen bekommt es von mir auch eine absolute Leseempfehlung!
♥ Vielen Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥
Über die Autorin
Marie-Sabine Roger wurde 1957 in Bordeaux geboren und lebt heute im Département Charente. Ihre Romane Das Labyrinth der Wörter (2010) und Das Leben ist ein listiger Kater (2014) waren in Frankreich und Deutschland Bestseller. Zuletzt erschien von ihr Ein Himmel voller Sterne (2017).
Quelle: Hoffmann und Campe