Autor: Katya Apekina
Titel: Je tiefer das Wasser
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 17. Februar 2020
Buchlänge: 396 Seiten
Titel der Originalausgabe: The deeper the water the uglier the fish
ISBN: 978-3-518-42907-5
Preis: HC 24,00€ / eBook 20,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt ♥
Edie und Mae sind Schwestern. Die Mutter der beiden hat versucht sich umzubringen, und nun werden sie weggeschafft, aus ihrem Heimatkaff in Louisiana nach New York, aus der Obhut einer labilen Fantastin zum weltberühmten Schriftstellervater, der die Familie vor Jahren verließ. Für Edie bedeutet die neue Umgebung einen unverzeihlichen Verrat, für Mae die langersehnte Möglichkeit der Befreiung. Schnell kommt es zum Bruch. Während die eine einen verzweifelten Rettungsversuch unternimmt, lässt sich die andere ein auf die Zuneigung des Vaters und die Bitte, ihm beim Schreiben seines neuen Romans über die Mutter zu helfen. Alle sind sie getrieben von einer Obsession: Verstehen, was zwischen ihnen, was tief in ihnen vor sich geht.
Quelle: Suhrkamp Verlag
Je tiefer das Wasser, desto hässlicher der Fisch – so lautet der Originaltitel von Katya Apekinas Buch in voller Länge und ich finde treffender kann ein Buchtitel den Inhalt gar nicht zusammenfassen, der einen hier erwartet. Denn je tiefer man in das Leben und das Erlebte der Geschwister Edie und Mae eintaucht, desto hässlicher wird es auch. Aber es lässt einen auch nicht los. Man will wissen wie es weitergeht und schließlich auch endet, selbst wenn man ahnt, dass es einem das Herz schwer machen wird.
Nach dem Suizidversuch ihrer Mutter Marianne werden die beiden Schwestern Edie und Mae nach New York zu ihrem Vater Dennis Lomack, einem berühmten Schriftsteller, geschickt. Dieser hat die Familie schon vor Jahren verlassen und somit keinen rechten Bezug zu seinen Töchtern, doch während Mae die Zeit bei ihm genießt, bleibt Edie, die Ältere, loyal gegenüber ihrer Mutter und möchte nach Hause. Da Marianne aber in einem psychiatrischen Krankenhaus liegt ist das nicht möglich und so bleibt ihr vorerst nichts anderes übrig, als Dennis als Vaterfigur abzulehnen – Mae hingegen entwickelt eine regelrechte Obsession ihm gegenüber, die nicht nur das Verhältnis der Geschwister zueinander, sondern auch das ganze Beziehungsgeflecht um Dennis herum gefährdet. Und irgendwann hat Edie genug davon und haut gemeinsam mit dem Nachbarn Charlie ab, um ihre Mutter auf eigene Faust zu pflegen worüber Mae alles andere als traurig ist. Denn sie übernimmt derweil die einstige Rolle von Marianne und ihrem Vater scheint das sehr zu gefallen.
Meine Mutter hatte komische Vorlieben: Sie suchte sich jemanden aus und folgte ihm stundenlang. Einmal fuhren wir die ganze Nacht mit ausgeschalteten Scheinwerfern durch den Wald zu einer Jagdhütte. Wenn wir tagsüber unterwegs waren, durfte Edie manchmal auch mitkommen. Ein Spiel, bei dem Mom und Edie sich auf dem Vordersitz eine Tüte Lakritz teilten… Aber wenn Mom und ich nachts allein unterwegs waren und die Bäume und der Sumpf im Dunkeln an uns vorbeirauschten, war es kein Spiel. Dann war ich in Moms Wirklichkeit gefangen.
(Seite 15)
Katya Apekina behandelt eine Vielzahl von schwierigen Themen, wobei die Tragweite der Geschichte aus den Perspektiven mehrerer Figuren wiedergegeben wird, sodass erst nach und nach ein gesamtes Bild der Familie rund um die beiden Geschwister entsteht. Und dieses Bild ist erschütternd.
Da ist zum Beispiel der viel ältere Dennis, der Marianne als Kind kennenlernt. Dieses Kind verliebt sich in den Mann und wird zu seiner Muse. Erst durch sie schafft er seinen schriftstellerischen Durchbruch, doch Mariannes Talente verkümmern derweil. Als er sie schließlich mit den beiden Töchtern Edie und Mae verlässt, sind diese fortan den psychischen Defekten ihrer Mutter hilflos ausgeliefert. Normalerweise würde man jetzt sofort von Kindeswohlgefährdung sprechen, und die Kinder in Obhut nehmen, in Apekinas Roman bleiben sie aber bei den Eltern, was ihr ganzes Leben für immer beschädigt.
Hatte Marieanne das Recht, sich das Leben zu nehmen? War es in Ordnung von Dennis, seine psychisch labile Ehefrau zu verlassen und die Kinder gleich mit? Darf er die Abhängigkeit von Mae ausnutzen, um seine Fehler erneut zu wiederholen?
Antworten werden dem Leser nicht gegeben, die Autorin zeigt lediglich auf, was geschieht, wenn durch einzelne Ereignisse eine ganze Lawine ins Rollen gerät. Dabei baut sie unterschiedliche Zeitebenen ein, die die Gegenwart von allen Seiten beleuchten.
Heute kann ich leicht sagen, dass ich wünschte, ich wäre netter zu meiner Schwester gewesen, aber damals war mir das nicht möglich. Unser Vater hatte mir gerade das Herz gebrochen, unsere Mutter hatte sich gerade umgebracht, und ich hatte mich gerade verbrennen wollen. Ich konnte mir nicht leisten, großzügig zu sein.
(Seite 343)
Je tiefer das Wasser ist keine angenehme Lektüre, die man einfach nebenher lesen kann und sollte und vielleicht überschreiten manche Themen auch eine Grenze. Aber manchmal müssen Geschichten auch genau das tun, um zum Kern der Sache vorzustoßen. Um die Kraft und die Wucht zu bündeln, die einer solchen Familientragödie innewohnt.
Und auch wenn das Ende eher offen gehalten ist und ich mir vielleicht an dieser Stelle mehr Eindeutigkeit gewünscht hätte, gewann der Roman so nochmal etwas mehr an Eindrücklichkeit.
Ein harter Einblick in obsessive Familienbeziehungen und dem Versuch zweier Geschwister, dem toxischen Wirkungskreis ihrer Eltern zu entkommen.
Definitiv keine leichte Kost, aber durchaus lesenswert!
♥ Vielen Dank an den Suhrkamp Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥
Über die Autorin
Katya Apekina, geboren in Moskau, mit drei in die USA gekommen, lebt heute in Los Angeles. Auf ihre ersten Texte in Magazinen folgten Stipendien und Auszeichnungen. Sie übersetzt russische Lyrik, schreibt Drehbücher. Ihr Debütroman Je tiefer das Wasser, veröffentlicht in einem kleinen Indie-Verlag, entwickelte sich zum Überraschungserfolg des letzten Jahres, Übersetzungen ins Französische, Spanische, Italienische erscheinen zeitgleich im Frühjahr 2020.
Quelle: Suhrkamp Verlag