Autor: Paolo Casadio
Titel: Der Junge, der an das Glück glaubte
Herausgeber: Hoffmann und Campe Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 09. Januar 2021
Buchlänge: 272 Seiten
Titel der Originalausgabe: Il bambino del treno
ISBN: 978-3-455-00886-9
Preis: HC 22,00€ / eBook 16,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt ♥
1943 in einem abgeschiedenen Dorf in den toskanischen Bergen: Hier lebt der achtjährige Romeo, Sohn des Bahnhofsvorstehers, ein behütetes Leben. Bis eines Tages ein Güterzug voller Menschen einfährt. Ein Ereignis, das Romeos Welt aus den Angeln hebt. Denn unter den Menschen in dem Zug befindet sich auch ein kleines Mädchen. Romeo kennt die hasserfüllten Reden des Duce, und er ahnt, wohin der Zug die jüdische Flavia bringen wird. Während sein Vater und seine Mutter mit ihrem Gewissen ringen, fasst Romeo einen Entschluss.
Quelle: Hoffmann und Campe Verlag
Der Januar war für mich ein Monat, in dem ich reichlich schwer zu verdauende Kost gelesen habe, denn alle meine ausgewählten Bücher haben mich nicht nur Freude und Glückseligkeit, sondern auch tiefes Mitgefühl und sogar Trauer durchleben lassen.
Aber genau das macht für mich auch das Lesen aus. Statt nur mit den Augen über die Buchstaben zu fliegen, liebe ich es sie auch zu fühlen. Jedes einzelne Wort zu begreifen und mich in die Personen hineinzuversetzen. Erst das gibt mir das Gefühl, den Autor verstanden und dem Buch wirklich Sinn gegeben zu haben.
So auch geschehen bei Der Junge, der an das Glück glaubte von Paolo Casadio, denn das Buch hat mich langsam in seinen Bann gezogen, seine Figuren neben mich gestellt, statt mir nur einen Blick von oben auf sie zu genehmigen und bis zum Ende gefesselt.
Ohne große Überlegung, einfach, um beruflich endlich voran zu kommen, tritt der Eisenbahner Giovannino Tini der faschistischen Partei bei und wird kurz darauf tatsächlich befördert – zum Vorsteher eines kleinen Bahnhofs im Apennin. Fornello heißt das Örtchen, das sich aus ein paar im Gebirge verstreuten Höfen und einem kleinen Laden im Tal zusammensetzt. Die Dienstwohnung der Familie Tini befindet sich gleich neben dem Bahnsteig und verfügt sogar über elektrisches Licht. Doch so sehr sie damit auch im Vorteil zu den anderen Einwohnern zu stehen scheinen, muss sich Giovanninos schwangere Frau Lucia erst an diese Umstände gewöhnen und in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden, denn das Stadtleben ist mit diesem hier nicht zu vergleichen.
Aber schon bald lernen die beiden die ländliche Abgeschiedenheit von Fornello zu lieben und Lucia nimmt selbst bald die schmalsten Steinpfade gerne in Kauf, um Mich, Brot und Käse direkt von den heimischen Bauern zu beziehen. Und als Romeo endlich geboren wird, ist die Familie so fest integriert, dass sie sich ein Leben in einer Großstadt gar nicht mehr vorstellen kann.
Romeo wächst zu einem friedlichen Jungen heran, der gerne liest und noch lieber beobachtet, bis der Faschismus und die Auswirkungen des Krieges allmählich auch Einzug in das vergessene Tal halten und ein einfahrender Zug im Dezember 1943 das Leben aller verändert.
Der Junge, der an das Glück glaubte ist kein schnell erzählter Roman mit hohem Tempo und ich würde sogar behaupten, dass Paolo Casadio ihn absichtlich so gemacht hat, damit der Leser ein Gefühl dafür bekommt, wie langsam auch die Zeit in Fornello vergeht.
Er nimmt sich Zeit, berichtet mit großer Genauigkeit und Sorgfalt über das Leben der Menschen mit all ihren Sorgen und Nöten und doch hat man das Gefühl, dass irgendwo eine Wolke über diesem Tal schwebt, die nur darauf wartet, einen Schatten über das Leben der Menschen zu werfen.
Er balanciert auf einem schmalen Grad zwischen Poesie und Drama, ohne die Geschichte kitschig zu machen, und schafft es durch seinen einfühlsamen Schreibstil, den Gedanken und Empfindungen seiner Protagonisten einen tieferen Sinn zu geben. Jede kleine Geste wirkt bedeutend, sei es, als Giovannino seiner Frau die Hand auf den runden Babybauch legt oder Romeo einfach nur die vorüberziehenden Wolken beobachtet.
Den emotionalen Höhepunkt erreicht sie dann, als Romeo auf Flavia trifft, ein jüdisches Mädchen, dass sich in dem eingangs erwähnten Zug vom Dezember 1943 befindet. Denn wie der Leser erfährt, sind dessen Insassen nicht etwa auf dem Weg in die Stadt, sondern sollen deportiert werden. Doch durch einen technischen Defekt sitzt der Zug erst einmal fest und die Familie Tini sorgt dafür, dass die eng eingepferchten Menschen im Wagon wenigstens die Nacht in der Bahnhofshalle verbringen dürfen, um dort, leider nur kurz, Hoffnung und Kraft zu tanken. Als der nächste Tag anbricht, setzt jedoch auch der Zug seinen Weg in die Vernichtung unerbittlich fort.
Der Junge, der an das Glück glaubte spielt in einer abgelegenen Bergregion Italiens zur Zeit des Faschismus und erzählt von einer (unmöglichen) kindlichen Liebe.
Mich hat das Buch eingenommen, gefesselt und bis heute nicht richtig losgelassen und deswegen gibt es auch eine klare Leseempfehlung von mir!
♥ Vielen Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥
Über den Autor
Paolo Casadio, geboren 1955 in Ravenna, interessierte sich schon bald für die Sprache und die Geschichten seines Herkunftsorts. Er debütierte als Co-Autor mit dem Roman Alan Sagrot (Il Maestrale, 2012). Sein Roman La quarta estate (Piemme, 2015), angesiedelt in Marina di Ravenna im Jahr 1943, ist sein Debüt als alleiniger Autor.
Quelle: Hoffmann und Campe Verlag