Rezension Leona Stahlmann – Der Defekt

Rezension Leona Stahlmann – Der Defekt

Autor: Leona Stahlmann
Titel: Der Defekt
Herausgeber: Kein & Aber Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 11. Feburar 2020
Buchlänge: 272 Seiten
ISBN: 978-3-0369-5821-7
Preis: HC 22,00€ / eBook 17,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

In dem Sommer, in dem Mina dem achtzehnjährigen Vetko näherkommt, verändert sich für sie alles: Sie merkt, dass sie anders ist als der Rest des Dorfs. Was sich anfühlt wie ein Defekt, ein Fehler im System, wird für Mina bald der Punkt, um den sich ihr Leben dreht. Während Vetko und sie eine Verbindung zwischen Lust und Schmerz herstellen und Vetkos Forderungen immer existenzieller werden, sieht sie sich zusehends vor die Entscheidung gestellt, wie weit sie noch gehen soll. Duldet der Weg, den sie eingeschlagen hat, überhaupt einen Kompromiss? Leona Stahlmann erzählt in außergewöhnlicher, sinnlicher Sprache vom Aufwachsen mit einer von der Norm abweichenden Sexualität und von den Rissen in unseren Begriffen von Heimat und Identität. Sie erzählt von Mensch und Natur und von der Wucht, wenn sie in ihrer Rohheit aufeinandertreffen.

Quelle: Kein & Aber Verlag

 

 

 

Wo gehörte ich hin und was verspreche ich mir von meiner Zukunft? Was macht mich aus und was darf ich fühlen? Wo stecke ich meine Grenzen ab und was ist zu viel? Wie will ich von anderen Menschen gesehen werden und ist mir das wirklich so wichtig?
Ich glaube gerade als Heranwachsender stellt man sich häufig solche Fragen, wenn es um die persönliche Entwicklung geht und selbst heute, als Erwachsener, entwickelt man sich noch weiter. Und oft habe ich das Gefühl, dass man nie wirklich fertig sein wird, immer noch wächst und sich natürlich auch verändert – das einzig wichtige dabei sollte aber sein: Bleib dir treu, hör auch deine Gefühle und vor allem unterdrücke sie nicht, egal wie andere darüber auch urteilen.

In Der Defekt behandelt Leona Stahlmann ganz ähnliche Themen, aber vor allem dreht er sich um Zugehörigkeit, dem Gefühl nach Heimat und dem Umgang mit der eigenen Sexualität. Über die Lust am Schmerz, dem Entdecken, das Suchen und Wiederfinden. Er ist komplex, liebevoll und gleichzeitig Schroff und in jedem Fall schön und zwar auf seine ganz eigene Art und Weise.

 

“So geht doch die Liebe“, […]. “So ist es immer schon gegangen: Einer fügt zu, und der andere nimmt auf. Sie müssen sich […] nur einig sein.“
(Seite 154)

 

Mina wächst in einem Dorf auf und ist vertraut mit der Natur und ihren Kräutern, doch nur über eine Staude weiß sie nichts – bis zu dem Tag, an dem sie versehentlich hineingreift.
Nach der Berührung lässt sie erschrocken die Stängel los und betrachtet die geröteten Stellen auf ihrer Haut. Ein unbestimmtes Gefühl steigt in ihr hoch, dennoch weiß sie, dass sie das noch einmal erleben möchte.
Und so entdeckt Minna mit dem ersten Berühren der Brennnessel eine Besonderheit ihres Körpers, doch erst mit sechzehn knüpft sie mit Vetko, einem älteren Schüler aus ihrer Klasse, bewusst an dieses Erlebnis an. Mit ihm entdeckt sie die Lust am Schmerz, lernt diesen im Geheimen mit ihm besser kennen, bis Vetko sich eines Tages so weit von ihr entfernt, dass sie ihm nicht mehr folgen kann.

Der Defekt ist ein Roman, den ich so noch nicht gelesen habe. Kurz nach dem Beenden dachte ich erst Was für ein Buch… und war kurz davor ihm nur zwei Sterne zu geben. Aber ein paar Tage nachdem ich die Geschichte hab sacken lassen sind meine Gedanken eher bei Was für ein Buch! und meine Bewertung bei 4 Sternen. Warum, kann ich selbst nicht genau erklären, aber Leona Stahlmanns Worte kamen bei mir wohl erst etwas später bei mir an und jetzt kann ich behaupten, dass ich wohl noch nie eine Geschichte gelesen habe, die so sanft und eindringlich über das Thema Sexualität spricht, sodass jeder Satz ein kleines literarisches Kunstwerk bildet. Sie ermöglicht dem Leser in ihrem Debütroman nicht nur einen eindringlichen Blick hinter die Kulissen und in die Köpfe ihrer Protagonisten, sondern zeigt auch, dass der Weg zur sexuellen Selbstakzeptanz ein steiniger und langer sein kann. Doch wer jetzt Aufgrund des Klappentextes detaillierte und knallharte Einblicke in verschiedene BDSM-Praktiken und harten Sex erwartet, liegt komplett falsch. Stahlmann fokussiert sich nicht auf die einzelnen Vorgänge und Varianten, sondern mit dem Umgang und der sozialen Akzeptanz. So scheint Mina zu Beginn ihre Handlungen und Neigungen selbst nicht zu verstehen und bezeichnet diese sogar als ihren persönlichen Defekt, doch nach und nach entwickelt sie sich und beginnt zu verstehen, dass ihr Anderssein nicht gleichgestellt ist mit einem Fehler.
Ich hoffe wirklich, dass gerade diese Erkenntnis viele Köpfe für dieses Thema öffnet und bestehende Vorurteile endlich aus ihren staubigen Ecken fegt, damit das Gefühl des Alleinseins endlich verschwinden kann.

Dennoch muss man sich Der Defekt erarbeiten, denn so berauschend und betörend der Ton auch sein mag, so erdrückend und erschwerend ist ebenfalls das Thema und die dazugehörigen Umstände. Hat man aber einen gewissen Punkt überwunden, darf man sich auf eine wahrhaftige Story freuen, die selbst am Abgrund noch Kapriolen schlägt.

 

Wer eine Vorliebe für anspruchsvolle und wahnsinnig bildhafte Sprache hat, dem kann ich Der Defekt von Leona Stahlmann nur wärmstens empfehlen.

Es ist ein außergewöhnliches Buch über das Thema BDSM als sexuelle Neigung, das in Deutschland noch immer ein großes Tabuthema bildet. Darüber wird schließlich nicht laut gesprochen und schon gar nicht in der Öffentlichkeit – und allein dafür bekommt die Autorin meinen großen Respekt.

 

 

♥ Vielen Dank an den Kein & Aber Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

 

 

Über die Autorin
Leona Stahlmann, geboren 1988, lebt in Hamburg und arbeitet als Autorin, Journalistin und Veranstalterin. 2017 gewann sie den Hamburger Förderpreis für Literatur, 2018 war sie Stipendiatin der Romanwerkstatt des Literaturforums im Brecht-Haus in Berlin und gewann den ersten Wortmeldungen-Förderpreis. Der Defekt ist ihr Debütroman.

Quelle: Kein & Aber Verlag

 

 

 

 

 

 

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